Warum hat die ambulante Anästhesie so ein Schmuddel-Image?

…zumindest aus Sicht vieler Anästhesisten und Anästhesiepflegekräften, die im Krankenhaus arbeiten.

Schauen wir uns einmal an, welche Vorurteile es über die Arbeit von Anästhesisten außerhalb der Klinik gibt.

Und hinterfragen selbstkritisch, was an diesen Vorurteilen dran ist.

Starten wir mit …

Vorurteil Nr. 1 – Der reisende Anästhesist als „Packesel“

Ambulante Anästhesisten arbeiten grundsätzlich „aus dem Kofferraum“ bzw. „im Umherreisen“, so heißt es.

Am liebsten improvisiert aus Taschen und Kisten neben irgendeinem Zahnarztstuhl.

Zudem ist der Anästhesist für den ganzen Geräte- und Materialtransport zuständig, darf täglich eine Menge Zeugs von A nach B fahren.

Und muss dadurch zusätzlich zur Fahrerei noch viel Zeit zum Auf- und Abbauen seines Narkosekrempels einplanen.

Unsere Meinung dazu:

Ja, es gibt einige Anästhesiepraxen, die so oder so ähnlich arbeiten. Was grundsätzlich ja legitim ist.

Wir gehören allerdings nicht dazu.

Bedeutet: wir arbeiten nur an festen Standorten, an denen wir unser Equipment komplett vor Ort haben.

Also in Praxen und Kliniken, wo es sich für uns rentiert, einen vollständigen Anästhesie-Arbeitsplatz auf Krankenhaus-Niveau einzurichten.

Wir wollen niemanden verurteilen, der es anders sieht und anders handhabt, aber für uns kommt die Arbeit aus Taschen und Kisten – wir nennen es „Kofferraum-Anästhesie“ – nicht in Frage.

Kommen wir zu …

Vorurteil Nr. 2 – Veraltete Geräte

Niedergelassene Anästhesisten arbeiten nur mit …

  • Uralt-Anästhesiegeräten wie z.B. der Dräger Sulla von Anno Pief,
  • Monitoren, die schon mindestens 20 Jahre auf dem Buckel haben,
  • einem Sammelsurium aus unterschiedlichen Perfusoren, das über die Jahre angesammelt wurde,

und anderen prähistorischen Klapparaturen.

Unsere Meinung dazu:

Grundsätzlich ist (war) die Sulla kein schlechtes Gerät.

Zum einen, weil unkaputtbar.

Zum anderen, weil eine rein mechanische Maschine gut dazu geeignet ist, um die Funktionen eines Kreisteils zu verstehen und zu erlernen.

Bei uns finden Anästhesisten und Assistenten allerdings nahezu ausschließlich Geräte vor, die sie bereits aus der Klinik kennen:

  • Ein elektronisch gesteuertes Narkosegerät (in der Regel ein Mittelklasse-Modell der Lübecker Firma mit dem großen „D“)
  • Ein moderner Touchscreen-Monitor (wir setzen an allen Standorten ein einheitliches Modell derselben Firma ein)
  • Zwei moderne TIVA-Perfusoren (auch hier setzen wir an allen Standorten auf das gleiche Modell)

Unser Video zum Thema:

Ambulante Anästhesie schmuddelig?

Machen wir weiter mit …

Vorurteil Nr. 3 – Hygienemängel

Da wird dieselbe Einweg-LMA bei mehreren Patienten nacheinander benutzt und zwischendurch nur mit kaltem Wasser abgespült.

Da werden ganze OP-Tage mit insgesamt 2 Zehner-Spritzen absolviert.

Mit Spritzen, die munter von Patient zu Patient und von Braunüle zur Aufziehampulle hin- und herwandern.

Da werden angebrochene Propofol-Perfusorspritzen teils ungekühlt über Nacht in Taschen gebunkert und am nächsten Tag mir nichts dir nichts weiterverwendet.

Wir haben uns diese Sachen nicht ausgedacht, sondern entweder mit eigenen Augen bei anderen Kollegen gesehen. Oder sie wurden uns zugetragen …

Unsere Meinung dazu:

Geht gar nicht, das ist das Allerletzte!

Was die LMAs angeht:

Anästhesisten, die ein und dieselbe Einweg-LMA in unterschiedliche Patienten stecken, verstoßen nicht nur gegen Hygienerichtlinien …

…sondern auch gegen die goldene Regel:

Was du nicht willst, das man dir tut, das füge auch keinem anderen zu.

Wer an 10er-Spritzen spart – einem Cent-Artikel – und diese zwischen Patient und Aufziehampullen hin- und herbewegt, dem ist im Grunde nicht mehr zu helfen.

Weil er oder sie ganz offensichtlich die Übertragung von Krankheiten von Patient zu Patient billigend in Kauf nimmt.

Grob fahrlässig

Spätestens bei den ungekühlt wiederverwendeten Propofol-Perfusorspritzen reden wir von lebensgefährlichen Handlungen.

Es sind schon Patienten an einer Sepsis verstorben, weil ihnen verkeimte Anästhetika injiziert wurden.

So etwas ist durch nichts zu entschuldigen!

Um es klar zu sagen:

Niedergelassene Kollegen, die so agieren, sollten sich ein anderes Tätigkeitsgebiet suchen.

Weil sie zum einen Patienten gefährden, und weil sie zum anderen alle anderen Kollegen, die ordentlich und sauber arbeiten, in Verruf bringen.

Kommen wir zu …

Vorurteil Nr. 4 – Sicherheitsmängel

Es soll niedergelassene Anästhesisten geben, die ohne Assistenzkraft arbeiten und sogar Kindernarkosen „solo“ absolvieren (wie auch immer das gehen mag …)

Nicht zuletzt liest man in den Medien hier und da von Kindern, die im Rahmen banaler Zahnarzt-Eingriffe auf tragische Weise zu Tode gekommen sind.

Unsere Meinung dazu:

Wir halten es für indiskutabel, ohne Assistenzkraft (ambulante) Narkosen zu machen.

Das gilt insbesondere für Kinderanästhesien, die vom Handling meist komplizierter sind – insbesondere bei Einleitungen mit Narkosegas.

Wir halten es auch für suboptimal, mit ungelernten bzw. angelernten Assistenzkräften in der Anästhesie zu arbeiten.

Deshalb haben wir uns entschieden, in diesem Bereich nur Fachpersonal (ATAs, Anästhesie- und Intensivpflegekräfte oder Notfallsanitätern) anzustellen – auch wenn dies höhere Lohnkosten für uns bedeutet.

Risiko: Kindernarkosen beim Zahnarzt

Was die tödlichen Zwischenfälle bei Kindern in Zahnarztpraxen angeht:

Im United Kingdom (UK) sind solche Narkosen seit dem Jahr 2002 verboten – Zahneingriffe bei Kinder dürfen unter Narkose nur in entsprechend dafür ausgestatteten OP-Einrichtungen durchgeführt werden.

Aus unserer Sicht wäre dies auch für Deutschland zu überdenken.

Es stellt sich die Frage:

Muss wirklich in jeder x-beliebigen Praxis eine Vollnarkose (bei Kindern) durchgeführt werden?

Zumal es ja nicht an MKG-Praxen oder oralchirurgischen Zahnarztpraxen mangelt, die über einen vollwertigen OP verfügen.

Schmuddelimage der ambulanten Anästhesie – das Fazit

Hoffentlich konnten wir mit ein paar Vorurteilen aufräumen, die dafür sorgen, dass die ambulante Anästhesie bei vielen Kollegen im Krankenhaus keinen sonderlich guten Ruf hat.

Ja, es gibt sie, die schwarzen Schafe, die unserer Branche mit ihrem Verhalten keinen Gefallen tun.

Von diesen wenigen schwarzen Schafen auf alle anderen Kollegen zu schließen, die im ambulanten Bereich ordentliche Arbeit machen – und das dürfte die absolute Mehrheit sein-, ist allerdings auch nicht fair.

Es ist durchaus möglich, ambulante Anästhesie mit einem hohen Qualitätsanspruch, einem Maximum an Sicherheit sowie mit Komfort für die Patienten zu verbinden.

Auch wenn das bedeutet, dass man nicht immer überall und bei jedem Narkose machen kann.

Für uns ist jedenfalls klar: Abstriche bei der Sicherheit stehen niemals zur Debatte.