Ambulantisierung: Vollgas mit angezogener Handbremse?

Wiederholt hat die Politik in den letzten Jahren die Absicht geäußert, das ambulante Operieren fördern zu wollen.

Werden nun tatsächlich die notwendigen Weichen für eine weitergehende Ambulantisierung gestellt?

Wie wir die Entwicklung einschätzen, erfährst du in diesem Artikel.

Vergangenheit & Status quo

Bis 1992 war das ambulante Operieren ausschließlich dem vertragsärztlichen Sektor vorbehalten.

Es galt und gilt der gesetzlich vorgeschriebene Grundsatz:

Ambulant vor stationär.

Leider ist es in Wahrheit genau anders herum:

OECD-Daten aus dem Jahr 2020 zeigen anhand von drei exemplarischen Eingriffen, dass Deutschland im europaweiten Vergleich beim ambulanten Operieren stark hinterher hinkt.

Eine Teilentfernung der Brustdrüse beispielsweise wird in Deutschland in 99,7% der Fälle stationär durchgeführt.

In Spanien nur in etwa der Hälfte der Fälle und in Dänemark werden hingegen 91% dieser Eingriffe ambulant durchgeführt.

Ambulantisierung – politisch gewünscht?

Im aktuellen IGES-Gutachten (Institut für Gesundheits- und Sozialforschung) aus dem März 2022 erfährt man, dass der OPS-Katalog deutlich erweitert werden soll.

Nahezu eine Verdopplung der bisherigen ambulanten Eingriffe scheint möglich.

In Anbetracht des Personalmangels in deutschen Krankenhäusern wäre das auch absolut sinnvoll.

Aktuell müssen beispielsweise auch fitte, gesunde Patienten bei kleineren Eingriffen für zwei Tage stationär aufgenommen werden.

Nicht weil es medizinisch begründet wäre. Sondern damit diese Eingriffe vergütet werden.

So werden unnötigerweise Bettenkapazitäten und Personal in den Krankenhäusern gebunden.

Grundsätzlich sind viele Eingriffe auch ambulant bzw. außerhalb des Krankenhauses möglich, können hier jedoch nicht abgerechnet werden.

Weil die Vergütung im DRG-System unweigerlich an die Übernachtung geknüpft ist – sprich: den Verbleib des Patienten in einem stationären Setting.

Ausnahme: integrierte Versorgung

Auf Antrag und unter bestimmten Bedingungen sind gewisse Operationen auch außerhalb einer Klinik möglich.

Was jedoch zum einem mit viel Papierkram verbunden ist. Um zum anderen die Übernachtung des Patienten in der Praxisklinik zur Bedingung hat.

Integrierte Versorgung nennt sich dieses Prinzip.

Grundlage sind hierbei Einzelverträge zwischen Leistungserbringern (chirurgische Praxen bzw. OP-Zentren) und einzelnen gesetzlichen Krankenkassen.

Von denen es noch immer rund 100 in Deutschland gibt …

Der Operateur erhält hier eine Vergütung irgendwo zwischen dem niedrigen EBM- und dem hohen DRG-Satz, was Verhandlungssache zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer ist.

Von dieser Vergütung wird dann im Rahmen einer internen Leistungsverrechnung die Anästhesie bezahlt.

Hoffnung: Hybrid-DRGs?

Abhilfe sollen zukünftig sogenannte Hybrid-DRG bringen.

Ähnlich zur „Fallpauschale“ der stationären Versorgung (DRG-System), sollen ambulante Prozeduren mit einer deutlich höheren Pauschale vergütet werden.

Ob der Patient eine Nacht im Krankenhaus/OP-Zentrum verbringt, soll hierbei unerheblich sein.

Schaut erstmal gut und lukrativ aus, ob es aber so eingeführt wird und dann auch so bleibt, ist unklar!

Denn im deutschen Gesundheitswesen kommt es erstens anders, und zweitens als man denkt …

Gut angefangen, stark nachgelassen

Als in den 1980er Jahren das ambulante Operieren in Deutschland eingeführt wurde, war die Vergütung zunächst auch sehr gut – schließlich sollten ambulante Operationen gefördert werden.

Nachdem viel Geld seitens der Ärteztschaft in OP-Räume, Sterilisation, Umbau der Praxis etc. investiert wurde, wurde plötzlich weniger gezahlt und der eigene ambulante OP damit für viele unrentabel.

Unser Podcast-Video zum Thema:

Ambulantisierung

Ambulante OPs: Kliniken vs. Praxen?

Wenn nun verstärkt auch Kliniken ambulante OP-Leistungen erbringen sollen, stellt sich angesichts der bereits geschilderten Differenzen bei der Vergütung die Frage nach einer kostendeckenden Finanzierung.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft DKG verweist in ihrem Ergebnisbericht des DKI (Deutsches Krankenhausinstitut) aus dem November 2022 auf eine Unterdeckung von 34% bei ambulanten OPs:

„So werde der EBM nicht regelhaft auf Basis von Ist-Kosten aktualisiert, es sei kein „lebendes System“, sondern weitestgehend starr und von normativen Vorgaben geprägt“

Genau das ist das Problem!

Auf Grund mehr oder minder willkürlicher Annahmen wird ein fiktives „Arzthonorar“ als Berechnungsgrundlage herangezogen. Reelle Kosten werden nicht oder nur unzureichend abgebildet.

Unterschiedliches Niveau der Assistenzkräfte?

Das DKI schreibt weiter:

„So unterscheide sich das Qualifikationsniveau des Krankenhauspersonals deutlich vom vertragsärztlichen Bereich, zum Beispiel hochqualifizierte Pflegekräfte im ambulanten Krankenhausumfeld statt medizinischer Fachangesteller.“

Ist das so?

Wir arbeiten in unserer Praxis ausschließlich mit hochqualifiziertem Fachpersonal!

Auch immer mehr Operateure stellen OTAs für den OP-Betrieb ein.

Die Vorstellung, dass nur im ambulanten Bereich nur „einfache“ Sachen operiert werden und daher gut mit „angelerntem“ Personal gearbeitet werden kann, ist vollkommen aus der Zeit gefallen.

Und wird gehobenen Qualitätsansprüchen auch nicht gerecht.

Stellt sich die Frage:

Was ist Henne und was Ei?

Werden ambulante OP-Leistungen so schlecht vergütet, weil dort nur mit gering qualifiziertem Personal gearbeitet wird?

Oder werden im ambulanten Sektor verstärkt MFAs eingesetzt, weil die Vergütung schlicht nicht auskömmlich ist?

Nutzen niedergelassene Ärzte die Krankenhäuser (aus)?

Noch ein Zitat aus dem Ergebnisbericht des DKI:

„Zudem würde die ständige Erreichbarkeit von Krankenhäusern als zentraler Bestandteil der postoperativen Eingriffen nicht nur von Krankenhäusern, sondern auch von niedergelassenen Operateuren genutzt. Laut dem DKI-Gutachten gibt es Hinweise darauf, dass ambulante OP-Zentren bei postoperativen Komplikationen auf die Kliniken verweisen würden.“

Interessante Vorstellung: der ambulante Operateur ist unmittelbar nach der Operation bei Komplikationen nicht mehr erreichbar?

Kann man machen, hat dann aber innerhalb kurzer Zeit auch keine Patienten mehr …

Selbstverständlich ist der Operateur in aller Regel telefonisch erreichbar, bzw er ruft proaktiv am Abend die Patienten an.

Das nennt man Qualitätsmanagement.

Sollte ein Patient dann doch das Krankenhaus aufsuchen, ist dies in aller Regel eine Ausnahme.

Die Krankenhäuser halten dafür ja eine 24-Stunden-Bereitschaft aufrecht…

Oder hat sich ein Krankenhaus schonmal drüber beschwert, dass in unmittelbarer Nähe eine Skihalle geöffnet hat und jetzt vermutlich mehr Skiunfälle in der Notaufnahme versorgt werden müssen?

Ambulantisierung – Wie könnte es weitergehen?

Prognosen sind bekanntlich schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.

Aber wir könnten uns folgendes vorstellen:

Unabhängig davon, wie das ambulante Operieren vom Gesetzgeber (um)gestaltet werden wird, ergeben sich diverse Entwicklungen, die bereits heute begonnen haben …

Trend zum Outsourcing

Im Rahmen der Krankenhaus-Strukturreform und Ambulantisierung werden Kliniken vermutlich gezwungen sein, Teile des ambulanten Operierens outzusourcen.

Primär aufgrund des bereits heute existierenden Personal-/Fachkräftemangels.

Zudem ist mit angestellten Krankenhaus-Ärzten ein effizienter OP-Betrieb im ambulanten Sektor nur schwer erfolgreich realisierbar.

Weil dies in der Regel eine völlig andere „Taktung“ sowie ein höheres Maß an Kooperationsbereitschaft erfordert, als es in den allermeisten Kliniken im stationären Sektor üblich ist.

Kooperationen zwischen Praxen (wie unserer) und Krankenhäusern werden dadurch wahrscheinlicher – was wir grundsätzlich begrüßen.

Rückgang der „klassischen“ Niederlassung

Krankenhäuser werden versuchen, ambulante Strukturen nachzubilden und KV-Sitze aus dem Markt aufzukaufen.

Bereits heute gibt es einige Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), die an Kliniken angegliedert sind bzw. von diesen betrieben werden.

Bedroht diese Entwicklung die klassische Niederlassung?

Eine weitere Prognose:

Freiberufler und Einzelpraxen geraten weiter unter Druck

Einzelkämpfer werden es auf Dauer wohl immer schwieriger haben.

Dies betrifft sowohl den niedergelassenen Anästhesisten in eigener Praxis als auch den Honorararzt, der für ersteren Praxisvertretungen übernehmen möchte.

Die niedergelassenen Kollegen ächzen unter der zunehmenden Last durch steigende An- und Herausforderungen in den Bereichen Personalgewinnung, Qualitätsmanagement, Digitalisierung etc.

Bei gleichzeitiger Abwertung ihrer Leistungen durch die gesetzlichen Krankenkassen.

Die Honorarvertreter werden von der Rentenversicherung auf die Hörner genommen, in dem unterstellt wird, sie seien „scheinselbständig“ tätig.

Mit drohenden Nachzahlungen bei der Sozialversicherung.

Wie angesichts all der genannten Herausforderungen die „Ambulantisierung“ zum Erfolgsprojekt werden soll, bleibt abzuwarten.